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Amtsgericht Köln, Az. 123 C 254/10, Kein Schmerzengeld nach Süßigkeitenwurf während Karnevalsumzugs

Amtsgericht Köln, Az. 123 C 254/10, Urteil vom 07.01.2011

Das Werfen von Süßigkeiten von einem Karnevalsumzugswagen ist während des Rosenmontagszugs in Köln sozial üblich. Ein Schmerzensgeldanspruch besteht nicht.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage Schadensersatz wegen einer Verletzung, welche sie durch den Wurf eines Schokoladenriegels am Rosenmontagszug 2010 erlitten habe.

Die Klägerin behauptet, sie habe sich nachmittags auf der Straße Unter Sachsenhausen vor einer Seniorenresidenz den Rosenmontagszug angesehen.Während sie den Tanzdarbietungen des Beklagten zu 1.) zugeschaut habe, sei sie von dem Festwagen der XXX des Beklagten zu 1.) aus mit zwei Schokoriegeln beworfen worden und von zwei gleichzeitig geworfenen Riegeln am linken Auge verletzt worden. Der Wurf sei mit enormer Wucht erfolgt. Der Schokoriegel habe die Aufschrift des Beklagten zu 1.) getragen (Umschlag Bl.
54 d.A.).

Die Klägerin behauptet weiter, aufgrund der durch den Wurf erlittenen Verletzungen sei eine zweimaliger stationärer Krankenhausaufenthalt von jeweils vier Tagen im Februar und März 2010 notwendig gewesen sowie zwei Operationen unter Narkose. Mit ärztlichem Bericht vom 22.02.2010 wurde ihr das Vorliegen einer nahezu aufgehobenen Vorderkammer, ausgerissene Zonularfasern unten sowie beginnende Linsenquellung und erhöhter
Augendruck am linken Auge bescheinigt. Die Klägerin leide noch heute an starken Schmerzen, zudem habe sie lediglich 40 % der Sehfähigkeit auf dem linken Auge wiedererlangt.

Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stünde ein Schmerzensgeldanspruch sowohl aus Gefährdungshaftung als auch wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht zu. Das Werfen der hier gegenständlichen Schokoladenriegel sei nicht sozial üblich gewesen, da es rücksichtslos mit zu großer Kraft und mehreren Riegeln in Richtung von Personen erfolgt sei.

Mit Schreiben vom 16.03.2010 forderte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Beklagten zu 1.) erfolglos unter Fristsetzung bis zum 26.03.2010 zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 1.500,-€ auf.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten zu 2.) verurteilen, an sie 1.500,-€ nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.03.2010 sowie weitere 229,55 € an vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten bestreiten die Anwesenheit der Beklagten am Rosenmontagszug, den geschilderten Hergang sowie die Verursachung einer Verletzung und deren Folgen mit Nichtwissen.

Die Beklagten sind der Auffassung, das Werfen des hier gegenständlichen Schokoladenriegels und ähnlicher kleiner Gegenstände sei sozial üblich und stelle kein widerrechtliches Verhalten dar. Auch seien keine besonderen Vorkehrungen zu treffen, da das grundsätzlich erlaubte Verhalten hinzunehmen sei. Schließlich sei den Zuschauern des Zuges bewusst, dass sie von kleineren Gegenständen getroffen werden könnten. Durch die Teilnahme nähmen die Zuschauer dies in Kauf.

Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld nach §§ 823 Abs. 1, 253 BGB oder §§ 823 Abs. 2, 229 StGB. Selbst wenn sich der in allen wesentlichen Punkten bestrittene Sachverhalt wie von der Klägerin vorgetragen ereignet hat, besteht ein Anspruch nicht.

Hinsichtlich des Beklagten zu 2.) fehlt schon jede Darlegung einer Verantwortlichkeit für die Verletzungshandlung. Es kann nur vermutet werden, dass die Klägerin den Beklagten zu 2.) für den Veranstalter des Rosenmontagszuges hält. Dies ist jedoch weder dargelegt noch wäre eine Verkehrssicherungspflicht des Veranstalters für alle teilnehmenden Gruppen ohne weiteres ersichtlich. Schließlich hat der Beklagte zu 2.) konkret unter Angabe des tatsächlich Veranstalters bestritten, den Rosenmontagszug ausgerichtet zu haben.

Auch eine Haftung des Beklagten zu 1.) vermag das Gericht nicht zu erkennen. Weder trifft den teilnehmenden Verein vorliegend eine besondere Verkehrssicherungspflicht noch ist das Werfen von kleinen, leichten und abstrakt betrachtet ungefährlichen Gegenständen aus Anlass eines traditionellen Karnevalsumzuges rechtswidrig. Eine Verletzung wie von der Klägerin vorgetragen stellt sich angesichts des erlaubten Handelns des Beklagten zu 1.) als bedauerliches Unglück dar.

Mit dem Amtsgericht Eschweiler, Urteil vom 03.01.1986, Az. 6 C 599/85 (dort Verletzung am Auge durch geworfene Blume) und dem Landgericht Trier, Urteil vom 07.02.1995, 1 S 150/94 (Verletzung eines Zahnes durch Wurf eines Bonbons) ist davon auszugehen, dass das Werfen von kleineren Gegenständen während eines Karnevalsumzuges vom Umzugswagen aus sozial üblich, allgemein anerkannt, von allen Zuschauern erwartbar und insgesamt erlaubt ist. Dieses Verhalten entspricht langjährigen Traditionen und wird allgemein begrüßt, es dürfte für viele Zuschauer einen ganz wesentlichen Teil des Vergnügens der Teilnahme an einem Karnevalsumzug ausmachen.

Eine Verkehrssicherungspflicht, wie sie die Klägerin annimmt, besteht nicht. Im Grundsatz ist zwar derjenige, welcher eine Gefahrenquelle eröffnet, gehalten, die nötigen Vorkehrungen zur Verhinderung der Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter zu treffen. Dies gilt jedoch nicht für die Eindämmung jeder abstrakten Gefahr und ist in jedem Einzelfall zu beurteilen. Die Vorkehrungen müssen zumutbar sein und von den Beteiligten erwartet werden dürfen. An beiden Voraussetzungen fehlt es hier. Wenn man das Werfen von kleineren Süßigkeiten und anderen Gegenständen als erwünscht ansieht- hieran besteht für das Gericht kein Zweifel- dann lassen sich Verletzungen einzelner der äußerst zahlreichen Zuschauer nicht völlig ausschließen. Die Herabsetzung der Größe der geworfenen Gegenstände kann nicht verlangt werden, da auch ein einzelnes Bonbon oder wie vorliegend eine 17 Gramm leichte Schokoladenwaffel im ungünstigen Einzelfall Verletzungen hervorrufen kann. Angesichts der bekannten großen Höhe der Umzugswagen ergibt sich unweigerlich auch eine gewisse Geschwindigkeit der Gegenstände. Da die Klägerin selbst nicht behauptet, vorsätzlich beworfen worden zu sein, ergibt sich die beschriebene große Wucht bereits aus der Fallhöhe. Eine Vermeidung des Werfens in Richtung von Personen erscheint angesichts der Enge des Zugweges unmöglich und ist traditionell auch nicht beabsichtigt, da das Fangen der geworfenen Gegenstände allgemein erwünscht ist.

Schließlich ist es lebensfremd anzunehmen, dass vor bestimmten Gebäuden, wie von der Klägerin für eine Seniorenresidenz angenommen, besondere Wurfzurückhaltung geboten wäre. Zum einen kann der großzügige Wurf von Süßigkeiten gerade vor solchen Gebäuden besondere Freude der Bewohner auslösen zum anderen ist es angesichts der Zuglänge von rund 7 km nicht möglich, vom Umzugswagen aus den Charakter aller am Zugweg liegenden Gebäude zu beurteilen. Auch die Tatsache, dass mehrere Süßigkeiten zugleich geworfen werden ist allgemein üblich und bekannt. Es ist nicht geboten, nur einzelne Riegel werfen, da auch ein einzelner Gegenstand bereits Verletzungen auslösen könnte.

Letztlich werden weitere Sicherungen des Süßigkeitenwurfes von den Zuschauern auch nicht erwartet. Dass Gegenstände mit vollen Händen von hohen Wagen aus in die Menge geworfen werden, ist seit Jahren üblich und
bekannt. Wer an einem Rosenmontagszug als Zuschauer teilnimmt und sich in Wurfweite der Wagen stellt, muss damit rechnen, bei mangelnder Aufmerksamkeit unerwartet von einem Gegenstand üblicher Größe und Beschaffenheit getroffen zu werden. Vermeidbar und jedes Risiko ausschließen kann nur die Positionierung in größerer Entfernung, geschlossenen Gebäuden oder der Verzicht auf eine Teilnahme. Es hätte der Klägerin oblegen, größeren Abstand zu halten, ihre Aufmerksamkeit stets auf die Wagen zu richten oder ganz auf eine Teilnahme zu verzichten.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: 1.500,- €

 Quelle: http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ag_koeln/j2011/123_C_254_10urteil20110107.html